image

When We Dance

Dieser Chianti »When We Dance« macht irgendetwas ganz besonderes

Veröffentlicht am 25. Juni 2018

Wenn sich der Abend über die Region zwischen Florenz und Siena legt und der Horizont langsam vom braun ins blau kippt… dann wird aus einem Misanthropen ein geselliger Schwärmer und aus einem Pessimist ein weltoffener Mensch, der fröhlich auf den kommenden Tag schaut. So lange der nur auch wieder so schön wie der ist, der gerade zu Ende geht. Als Sänger und Musiker Sting gemeinsam mit seiner Trudie kurz vor der Jahrtausendwende das Weingut Il Palagio kaufte, brauchte er keine extra Muse, um sich inspirieren zu lassen. Die Umgebung, das Licht und die jahrhundertealte Geschichte der Reben waren genug, um die künstlerische und musikalische Leidenschaft der beiden in erstklassige Weine umzusetzen. Ich habe eine Flasche von dem Chianti »When we dance« und meine Gitarre neben mir auf dem Beifahrersitz liegen. Ich bin auf dem Weg zu einer alten Freundin, mal sehen, was die Visionen des Ex-Punkrockers aus den Trauben herausholen können.

Die Dame hat schon den Kaminofen und ein paar Kerzen entfacht, und von außen betrachtet könnten wir auch ein romantisches Date haben. Aber nein, das ist lange her. Wir quatschen über unsere Beziehungen und unsere Kinder. Meine sind inzwischen älter, als wir beide es damals waren. Damals, als sich das Weingut Il Palagio noch unter einer anderen Führung befand und dieser hervorragende Chianti DOCG noch nicht in die Flaschen kam. Die Welt dreht sich jeden Tag ein bisschen schneller. Und je älter wir werden, desto weniger gelingt es uns, sie auch nur für einen kurzen Moment zu verlangsamen. Ist es nicht Wahnsinn, was in ein paar Jahrzehnten alles passiert? Gerade noch fährt man mit seinem alten Auto zur Uni und am Wochenende mit Freunden raus an den Strand. Und *schnipps* wird man von den eigenen Kindern gefragt, ob sie heute mal beim Freund oder der Freundin übernachten dürfen. Dass es so schnell gehen würde, stand damals nicht im Prospekt. Und, dass ich älter werde habe ich auch nirgends unterschrieben. Mist. Ich öffne einmal den Wein.

Wir sitzen auf dem Fußboden. Während wir an dem duftenden Wein nippen und den samtigen, fast beschwingten Charakter genießen, wird aus der Melancholie des Älterwerdens langsam eine angenehme Zufriedenheit mit dem Hier und Jetzt. In ihren Augen lese ich die Frage »ach, und den Wein hat Sting gemacht?«. Sting selbst mag zwar kein Önologe sein, hat aber mit viel Leidenschaft und Geduld mit dem Winemaker Paolo Caciorgna und dem Pionier Alan York ganze Arbeit geleistet. Ich bekomme gerade den Eindruck, dass ich hier ein schönes Präsent mitgebracht habe, also sie zumindest kann mit diesem Wein eine Menge anfangen und verbinden. Als die Flasche schon fast leer ist, singen wir die alten Lieder. Von Sting selbst nur die ersten beiden Strophen von »Fragile«. Gefolgt von Simon and Garfunkel, den Counting Crows und ein paar selbst getexteten Balladen. Ihre Teenager Kinder sitzen erstaunlich beseelt im halbdunklen Hintergrund und sind verwirrt, weil Mama so glücklich aussieht. Sie tanzt barfuß durchs Wohnzimmer, legt noch einen Scheit in den Kamin und setzt sich wieder auf den Fußboden. Für einen kleinen Moment dreht sich die Welt nicht nur langsamer, sie hat angehalten. Vielleicht hat sie sich sogar zurückgedreht.

Wir verabschieden uns, und ich fahre zurück durch die Nacht. Ganz ohne Musik. Die Töne und Melodien in meinem Kopf passen gerade so gut zu den Bildern, dass ich es bewahren möchte.