Der Lübecker Weinhandel in Vergangenheit und Gegenwart
In der 875-jährigen Geschichte Lübecks steht von Anfang an, der Warenhandel im Mittelpunkt. Und von Anfang an nahm der Weinhandel mit den nordischen Ländern einen gewichtigen Anteil daran ein. Lübecker Kaufleute handelten an vorderste Stelle vor allem französische Weine, und belieferten alle Länder im gesamten Ostseeraum. Die Weinhandlungen Carl Tesdorpf sowie H. von Melle sind heute in Lübeck die letzten großen Handelshäuser mit großer und langer Tradition.
Absatzgebiete für den Lübecker Weinhandel im Mittelalter
Als Absatzgebiete für den Lübecker Weinhandel im Mittelalter kamen die Länder der Nord- und Ostsee in Betracht. Was den Handel mit England anbetrifft, so lag seine Aufgabe darin, den Weinverkehr aus den Hauptweinmärkten Südfrankreichs, La Rochelle, Poitou, Bordeaux und Bayonne, nach England zu vermitteln. Es ist urkundlich belegt, dass Lübeck an dem französisch-englischen Zwischenhandel regen Anteil hatte. Auch am hansisch-niederländischen Weinhandel war Lübeck beteiligt. Brügge, Dordrecht und Amsterdam bildeten dabei die Haupthandelspunkte. Hier trafen sich die Weintransporte der Kölner Kaufleute, die für England oder die Ostseeländer bestimmt waren, mit den Weinschiffen aus Spanien und Frankreich. Die hier Station zu machen pflegten. Dass Lübeck an diesem Durchgangshandel beteiligt war geht zum Beispiel daraus hervor, dass die Stadt von dem Weinzoll in Brügge befreit war. Eine starke Rivalin erwuchs Lübeck in Danzig. Ein großer Teil des französischen Weines ging jedoch über Lübeck nach Danzig, um die gefährliche Fahrt um Skagen und durch den Sund zu vermeiden. Die Weinschiffe benutzten den Seeweg bis zur Elbe. Dann gingen sie elbaufwärts bis zum Stecknitzkanal, dann traveabwärts nach Lübeck. Von hier brachte sie der direkte Seeweg nach Danzig. Livland und Estland kamen ebenfalls als Absatzgebiete in Frage. Der direkte Weinverkehr zwischen Lübeck und Reval geht auf das Jahr 1454 zurück. Stark begehrt war der Wein allezeit in Livland, für dessen Einkauf Lübeck von jeher ein bevorzugter Platz war. Riga diente als wichtigster Ort in diesem Verkehr. An dem alten skandinavischen Weinhandel war Lübeck ebenfalls beteiligt. Besonders wichtig war der Verkehr mit der Halbinsel Schonen, und zwar besonders mit Falsterbo und mit Skanör. Lübeck hatte die größte Handelsniederlassung in Falsterbo, es erwarb hier auch die Schankgerechtigkeit für Wein. Auch am Weinhandel mit Bergen hatte Lübeck seinen Anteil, wo ihm allerdings in den Kölner Weinhändlern große Konkurrenz erwuchs.
Der private Lübecker Weingroßhandel
Im 12. und 13. Jahrhundert kamen Kölner Kaufleute nach Lübeck, um die Rheingauer Weine an den Rat, der das Monopol für den Detailhandel mit Rheinweinen in der Stadt hatte, und an den privaten Großhandel, abzusetzen. Schon im 14. Jahrhundert erwuchs der rheinischen Handelsmetropole eine Konkurrentin in Frankfurt am Main, die nach und nach den Handel an sich zog. Ihre Messen, die von Jahr zu Jahr wuchsen, wurden auch von den Lübecker Fabrikanten und Händlern zum Zwecke des Absatzes ihrer Artikel besucht. Als Rückfracht nahmen sie Wein mit, der allmählich einen wichtigen Teil der Ladung bildete. Die Weine wurden vielfach zu Lande von Frankfurt durch die Provinzen Hessen-Nassau und Westfalen über Weser und Elbe oder über Hanau, Fulda, Göttingen, Hildesheim, auch über Erfurt, Aschersleben, Uelzen und Lüneburg nach Lübeck gebracht. In Erfurt trafen sie oft mit den Weintransporten aus Nürnberg zusammen, um gemeinsam nach Norden zu gelangen; anderseits kreuzten sie sich hier mit den Fuhren französischer Weine, die von Lübeck auf ihren Weg in die süddeutschen Städte nahmen. Wenn auch auf dem Landweg ein großer Teil der Rheinweine befördert wurde, so spielte doch der Seeweg trotz mancher Behinderung durch Zollabgaben und Stapelrechte eine weitaus größere Rolle. Über den Umfang des Lübecker Weingroßhandels in früherer Zeit zahlenmäßig zu berichten, ist unmöglich, weil es keine Statistik gab. Welche Bedeutung er um die Mitte des 18. Jahrhundert hatte, ist daraus ersichtlich, dass er sich unter den im Jahre 1743 in Lübeck vorhandenen 175 Firmen 32 befanden, die Wein und andere Waren führten; 11 Firmen betrieben ausschließlich Handel mit Wein. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wächst der Export von Frankreich nach Lübeck in einem ungeahnten Ausmaß. Im Jahresdurchschnitt werden 1655-1671 rund 750 Oxhoft (1650 hl), von 1672-1688 etwa 4.250 Oxhoft (9350 hl) und wischen 1689 und 1693 5.560 Oxhoft (12.232 hl) ausgeführt. Französische Weine drängen vermutlich dabei andere Weine, wie etwa die spanischen und portugiesischen, in den Hintergrund. Importiert werden wohl hauptsächlich relativ preiswerte, weiße „Stadtweine“, die in nächster Umgebung von Bordeaux wachsen. Rotwein wird wahrscheinlich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in größeren Mengen eingeführt. Ein Teil der französischen Weine ist in Lübeck verbraucht, der größte Teil jedoch weiter exportiert worden. Die bedeutendsten Weinhändler in dieser Zeit sind Diederich Bartels, Adolf und Nicolaus Brüning, Peter Hinrich Tesdorpf, Franz Lefewer und Johann Daniel Klett. Allein das Haus Tesdorpf wird trotz aller Schwankungen der Märkte wirtschaftlich bestehen und ist bis heute das bedeutendste Weinimportunternehmen in Lübeck. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts schädigten die Koalitionskriege den Lübecker Weinhandel vorrübergehend. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte der Weinhandel, besonders in den Jahren 1803-1806, einen ungeheuren Aufschwung erlebt. Im Zuge der napoleonischen Eroberungskriege ging der Handel verstärkt über das neutrale Lübeck. Das änderte sich mit der Eroberung Lübecks im Jahre 1806 und der Eingliederung in das französische Kaiserreich. Von 1808 bis 1811 meldeten acht große Lübecker Weinhandelsfirmen Konkurs an, 1809 Georg Friedrich Lorenz Pauli, Johann Christoph Mertens, Gebrüder Scheele und Blech, 1810 Johann Daniel Erhardt, Christian Albert Götze und Johann Friedrich Diercke. Matthäus Rodde, der vielleicht erfolgreichste Großkaufmann in dieser Zeit und ein enger Geschäftsfreund Peter Hinrich Tesdorpf, stellte 1811 seinen Geschäftsbetrieb ein.
Als am 5. Dezember 1813 die französische Besatzung abrückte, begann man aufzuatmen. Aber nur langsam stellte sich die Geschäftstätigkeit wieder ein. Erst nach den Befreiungskriegen begann man, den Wein wieder nach dem Ausland abzusetzen. Es galt die verlorenen gegangene Gebiete zurückzuerobern und neue Absatzgebiete zu schaffen. Zu den letzteren gehörten vor allem der Handel mit Finnland. Hier sollte vor allem der Weinhandlung Lorenz Harms & Söhne, gegründet 1774, eine bedeutende Rolle zukommen. In der Folgezeit kam es zu einer Reihe von Gründungen neuer Weinhandelshäusern: 1814 Wilhelm Ludwig Behncke, G.T. Pflüg, 1821 Daniel Schön, 1826 J.C. Engelhardt & Söhne, 1833 H.J. Schulz, 1838 Massmann & Nissen, 1842 Lange & Scharff., 1848 H.C: Koch, 1853 H.F. von Melle.
Ein wichtiges Ereignis, das die größten wirtschaftlichen Veränderungen mit sich brachte, war im Jahre 1868 der Anschluss Lübecks an den Deutschen Zollverein. Der Beitritt wurde erleichtert durch den damals noch bestehenden 20-prozentingen Zollrabatt, der den Weingroßhändlern bei der Einfuhr gewährt wurde. Dieser Rabatt setzte den Bezug junger, frischer, unfertiger Weine voraus und galt dem aus diesen Weinen während ihrer Behandlung und Pflege bis zur völligen Flaschenreife verloren gehenden Abgang, Satz, Auslaufen und Eingehen. Auf dieser Weise bleib es Lübeck möglich, sich mit Erfolg gegen seine Hauptkonkurrenten Hamburg und Bremen, die dem Zollverein noch nicht beigetreten waren, im norddeutschen Weinhandel zu behaupten.
Der Krieg 1870-1871 trug dazu bei, dass der Handel aufblühte, und zwar besonders für französische Weine. Nicht nur, dass viele Deutsche, Weine an Ort und Stelle schätzen lernten, das gesamte Wirtschaftsleben hob sich, die Bevölkerung stellte höhere Ansprüche. Die Lübecker Weinhändler richtete in vielen Orten Deutschlands Niederlassungen ein und schickten eine große Zahl festangestellter Reisender und Agenten aus. Doch bald trafen gewissen Gegenwirkungen ein. Aufgrund des Zolltarifs von 1879 hatte der Lübecker Weihandel nichts zu fürchten. Die französischen Händler waren durch die großen Vorräte gezwungen, den Zoll selbst zu tragen. Der Umschwung trat erst eine, als die Vorräte sich unter starker Mitwirkung der Phyloxera verminderten. Als in den Jahren 1879 bis 1886 in Bordeaux qualitativ wie quantitativ sehr ungünstige Weinernsten erzielt wurden, stiegen die Preise der Bordeauxweine ganz gewaltig. Die Folge war, dass auch in Norddeutschland die leichten eleganten Mosel, Saarweine und vor allem Dingen die Rheinweine wieder mehr und mehr bevorzugt wurden.
Herkunftsgebiet des Weins
Das wichtigste Herkunftsgebiet für Wein, der durch Lübecker Kaufleute oder in Lübeck verhandelt wurde, war im 19. bis ins 20. Jahrhundert hinein Frankreich. An erster Stelle stand die Weinausfuhr aus Bordeaux, der Hauptstadt von Frankreichs größtem Weinanbaugebiet. Bordeaux liegt an der Garonne, die nach dem Zufluss der Dordogne als Gironde ins Meer mündet. An der Gironde liegt das wohl bekannteste Weinanbaugebiet, das Médoc mit den bekannten Ortschaften St. Estèph, Pauillac, und St. Julien. Im Süden schließt sich der Distrikt Graves an. Am rechten Ufer der Dordogne folgen flußabwärts die Gebiete Côtes de Bourg, Côte de Blaye, Pomerol und St. Emilion, Entre-deux-Mers zwischen Gronne und Dordogne. Sauternes bildet die südliche Spitze des Distrikts Graves. Die berühmtesten Weine im Haute-Médoc sind die Chateau Lafite, Mouton-Rotschild, Latour und Margaux; im Graves ist es Chateau Haute -Brion, im St. Emilion das Chauteau Ausone, im Pomerol das Chateau Petrus, während die berühmtesten Weißwein aus dem Chateau d`Yquern im Sauternes kommen.
Mit einem Weinmakler, der üblicherweise den Kontakt zwischen Winzer und Käufer herstellte und sich in der Regel hervorragend auskannte, besuchten die Lübecker Weinhändler die erlesensten Weingüter im Bordelais, probierten vor Ort die jungen Weine und bestellten direkt beim Produzenten. Neben Bordeaux war Burgund das Ziel vieler Lübecker Weinhändler. Die malerischce Höhenkette bildete einen Gegensatz zu dem flachen, kiesigen oder felsigen Gelände des Bordelais. Von Süden nach Norden nimmt die Qualität der Gewächse zu. Von Lon bis Macon wächst der leichtere Burgunderwein, der Beaujolais. Von Chalon-sur-Saône bis Beaune erstreckt sich die Côte de Beaune mit hervorragenden kräftigen roten Burgunderweinen. Lübecker Weinhändler handelten vornehmlich mit den Gewächsen Romanée, Clos de Vougeot, Vougeot, Vosn und Cote de Nuits sowie dem Chambertin aus Gevrey. Neben Bordeaux war Sète im 19. Jahrhundert der wichtigste Hafen für Weinexporte nach Lübeck. Sète liegt im heutigen Weinanbaugebiet Languedoc-Roussillon, das sich von der Rhonemündung bis Carcassone erstreckt. Bekannt wurde das Roussillion durch seine Muskatweine, die sogenannten „Vins doux naturels“, einem goldfarbenen Likörwein, der um Rivesaltes herum besonders gut gedeiht. Neben dem französischem Wein waren der bereits im Mittelalter geschätzte spanische Wein, vornehmlich die aus Muskateller und Pedro-Ximinez-Trauben gewonnenen süßen Dessertweine, aber auch die aus Malvasier und anderen Trauben gekelterten körperreichen Rotweine beliebtes Handelsgut Lübecker Kaufleute. Ferner unterhielten Lübecker Weinhandelshäuser rege Geschäftsbeziehungen zu portugiesischen Winzern in Porto. Die deutschen Weine, besonders von Mosel und Saar und die Rheinweine gewannen erst im ausgehenden 19. Jahrhundert wieder an Bedeutung.
Absatzgebiete der Lübecker Weinhändler
Nur ein kleiner Teil der nach Lübeck eingeführten Weine wurden auch dort verbraucht, das meiste war für den Export bestimmt. Neben den traditionellen Absatzgebieten in Deutschland und Skandinavien wurden im 19. Jahrhundert auch die Märkte in Finnland und Russland erschlossen. Lübeck gelang es, sich im Verlauf des 19. Jahrhundert ein Monopol in der deutschen Weinausfuhr in den Norden zu schaffen. Ähnlich wie bei Einkauf reisten die Lübecker Kaufleute auch beim Verkauf häufig auf langen Wegen persönlich zu ihren Kunden. Durch den Ausbau des Schienennetzes in der zweiten Hälfe des 19 Jahrhunderts wuchs der Absatz ins Binnenland, nach Holstein, Lauenburg, Mecklenburg, Pommern, Brandenburg Berlin und Sachsen.
Die Lübecker Weinhandlungen um die Jahrhundertwende
Der moderne Lübecker Weinhandel, der einen ansehnlichen Teil des Geschäftslebens der alten Hansestadt ausmacht, weist unter seinen Vertretern viele alte Firmen auf, die sich gestützt auf das Vertrauen einer stets gut bedienten Kundschaft und auf strenge Solidität durch Jahrhunderte erhalten haben. Es haben sich im Laufe der Zeit ganze Weinhändlergenerationen entwickelt, da die Firmen vielfach vom Vater auf den Sohn übergingen. So wurde z.B. im Jahre 1678 die Firma De la Fontaine, Voss und Tesdorpf gegründet. Sie ist mehrfach geändert worden. Seit 1859 heißt die Firma Carl Tesdorpf, die um die Jahrhundertwende schon wieder zwei Generationen hindurch bestand, sodass das Haus auf sechs Generationen zurückblicken konnte. In 19. Jahrhundert erfolgte eine Reihe von Neugründungen von Weinimportfirmen. Eine große Rolle besonders für den Export nach Finnland, haben in der Folge die Firmen H.L. Behncke, gegr. 1814, Ludwig Bruhns sowie Lorenz Harms und Söhne, gegr. 1774 gespielt. Ihren Hauptumsatz in Deutschland machten die Unternehmen: J.C. Becker (1863), J.C. Engelhard & Söhne (1826), Massmann & Nissen (1838), G.T. Pflüg (1840) und H.J- Schultz (1833), Daniel Schön (1821), Lange und Scharff. (1842) und H.F. von Melle (1853). Nach den Ergebnissen der Berufs- und Betriebsstatistik vom 12. Juli 1907 gab es in Lübeck 50 Hauptbetriebe mit zusammen 377 gewerbetreibenden Personen, die Handel mit Wein und Spirituosen betrieben. Dazu kamen 33 Nebenbetriebe, die jedoch für den Gesamthandel nur von geringer Bedeutung. Es wurde im Weingroßhandel mit verhältnismäßig wenigen Personen gearbeitet. Trotzdem nimmt der Handel mit Wein unter den 48 aufgeführten Zweigen des Warenhandels im Jahre 1907 den 4. Platz nach der Zahl der darin beschäftigten Personen ein. Vor dem Weinhandel rangieren der Handel mit Kolonial-, Ess- und Trinkwaren, Bau und Nutzholz sowie der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten.
Strukturwandel im Lübecker Weinhandel der Nachkriegszeit
Nach dem zweiten Weltkrieg hatten die großen Weinhandelsfirmen wie J.C. Becker, I.C. Engelhardt & Söhne, Lorenz Harms & Söhne, H.C. Koch und Carl Tesdorpf rund drei Viertel ihres alten Kundenstammes in den abgetrennten Ostgebieten verloren. Zu diesen Firmen kamen heimatvertriebene Firmenwie Albert Blank, Dramburg & Hertwig, Carl Hertzberg, Hillebrand Erben, Friedrich Plato, Gebrüder Wossidlo und andere Firmen, die sich nun ebenfalls um eine Niederlassungsmöglichkeit bemühten und gar keinen festen Kundenstamm mehr hatten. Die Lübecker Weinhandelsfirmen spezialisierten sich auf den Im- und Export hochwertiger ausländischer Weine und gewannen rasch eine Voranstellung in Deutschland. Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre ging die Zahl der Lübecker Weinhandlungen rapide zurück. Sie waren in zunehmendem Maße nicht mehr wettbewerbsfähig und verloren ihre Kunden an die große Lebensmitteleinkaufsgenossenschaften. Selbst die großen und traditionsreichen Weinhandlungen von Lorenz Harms & Söhne und H.C. Koch stellten ihren Betrieb ein. Die verbliebenden Firmen wandten sich mit einem gehobenen Angebot feiner Weine an die Gastronomie und an weinkundige Endverbraucher. Mit dieser Konzeption waren bereits in den 50er und 60er Jahren als erste die Weinfachgeschäfte Lehmitz, später Nordisches Weinhaus und L. Roeper erstmals erfolgreich an den Endverbraucher herangetreten. Das traditionsreiche Weinhandelshaus H.F. von Melle schloss sich dem Konzept an. Die altehrwürdige Firma Carl Tesdorpf ist heute die letzte Weingroßhandlung, die noch immer wie von alters her in hohem Maße große Mengen Wein direkt vom Erzeuger einkauft. Lübeck pflegte in all den Jahren seinen traditionellen Ruf, die Stadt der Rotweine zu sein. – »Lübeck und seine Rotweine« wurde zum Werbezeichen. In den 60er Jahren entwickelte man den volkstümlichen Begriff »Rotspon« zu einem Markenzeichen. Heute ist Lübecker Rotspon eine lübeckische Spezialität, die in den Berichten über die Hansestad Lübeck in einem Atemzug mit Marzipan genannt wird. Der Lübecker Rotspon wird heute von dem seit 1946 in Lübeck ansässigen Familienbetrieb Blücher-Scheering in dessen modernen Abfüllanlage abgefüllt.
Die Lübecker Weinhandlungen
Die Lübecker Weinhandlungen genossen stets einen hervorragenden Ruf bei ihren Kunden im gesamten Ostseeraum und im Deutschen Reich. In vielen Städten hatten sie Niederlassungen, Agenten und Vertreter. Im Weinhandel waren zahlreiche Menschen beschäftigt. Arbeiter, Küfer, kaufmännisches Personal, zu Teil auch Tischler, Böttcher fanden dort ihre Arbeit. Aus der ersten Gewerbeaufnahme wissen wir, dass es im Lübeck des Jahres 1875 rund 35 Weinhandlungen gab, in denen bis zu 50 Personen beschäftigt waren. Im Durchschnitt arbeiteten um 1900 etwa 7 Personen in einer Weinhandlung. Im Jahre 1907 waren 50 Hauptbetriebe in Lübeck ansässig, von diesen importierten rund 20 ihre Weine aus den Ursprungsländern. Es war eine Zeit, in der der Lübecker Weinhandel in höchster Blüte stand. Die größeren Weinhandlungen wurden modernisiert und mit den neuesten Geräten und Einrichtungsgegenständen ausgestattet. Schon 1875 hatte es in zwei Lübecker Weinhandlungen, eine Seltenheit für die damaligen Firmen, gasbetriebene Maschinen gegeben. Nunmehr verfügte man über elektrische Aufzüge, um die übereinanderliegenden Lagerräume zu überwinden. Man hatte Spezialmaschinen wie Weinfilter, Flaschenfüllfilter, Flaschenspülmaschinen, Kork- und Kapselmaschinen. Zunehmend wurden auch Pumpen verwendet, die schneller und sauberer arbeiteten und verhinderten, daß der Wein sich beim Umstechen von einem Fass aufs andere; wie vorher bei der Handumfüllung möglich, auf dem Boden vergoss.
Einrichtung und Geschäftsbetrieb einer Lübecker Weinhandlung
Die großen Lübecker Weinhandlungen verfügen über bedeutende Lagerräume, die man größtenteils als Sehenswürdigkeiten der Stadt ansprechen kann. Viele Firmen nennen Häuser ihr Eigen, die bereits Jahrhunderte alt sind und die sowohl geschichtlich als auch künstlerisch Aufmerksamkeit verdienen. Während die Weine aus Süddeutschland ausschließlich im Keller unter der Erde lagern, nutzte man in Lübeck sowohl Keller als auch Lagerspeicher, die oft durch vier bis fünf Stockwerke die Fass- und Flaschenweine aufnehmen. Das liegt daran, dass das norddeutsche Weingeschäft als Hauptartikel Bordeauxweine führt, die in gut temperierten Räumen gelagert werden müssen. Die Temperatur wird in den großen Häusern durch Zentralheizungen gleichmäßig reguliert. Das Fasslager soll etwa + 8 Grad Celsius haben, während sich die Weine des Flaschenlagers am besten bei +10 Grad Celsius entwickeln.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Lübecker Weinhandels
Jahrhunderte hindurch waren es die deutschen Weine, die im Lübecker Weinhandel die Hauptrolle spielten. Der Handel mit ausländischen einen nahm nur einen verhältnismäßig geringen Teil des Geschäftes ein. Im 18. Jahrhundert trat jedoch ein Umschwung ein. Man führte französische Weine in steigendem Maße ein. Vor allem Bordeauxweine fanden in Norddeutschland schnell einen bedeutenden Absatzmarkt. Es ist die sachgemäße Kultur der französischen Weine, die den in Lübeck gepflegten Rotwein so berühmt gemacht hat. Damit soll nicht gesagt werden, dass sich nur Lübeck auf die Pflege der Rotweine versteht, stehen doch die Seestädte Bremen und Hamburg und Stettin mit den Hanseschwestern in scharfen Wettbewerb. Zugegeben werden muss aber, das Lübeck an hervorragender Stelle im norddeutschen Rotweingeschäft steht.