Eine Landschaft wie vor 1.000 Jahren
Wer zum ersten Mal ins Priorat reist, dürfte aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Die Landschaft, in der sich die Reben hier und da die Hügel und Berge hochwinden, wirkt in weiten Teilen unberührt und verlassen. Und direkt stellt sich eine Ahnung ein, dass sich die Landschaft hinter dem Montsant-Gebirge in den letzten 1.000 Jahren kaum verändert haben dürfte. Es ist eine Landschaft absoluter Ruhe, in der nur hier und da der durchdringende Schrei eines Greifvogels zu hören ist. Der Weinbau dieser Region wurde erstmals urkundlich zum Ende des 12. Jahrhunderts erwähnt. Im Jahr 1136 hatten Kartäusermönche den Priorato de Scala Dei und später die Cartoixa de Santa Maria d’Escaladei gegründet. Der Priorat wurde genau dort gegründet, wo ein Hirtenjunge einst gesehen haben wollte, wie ein Engel die Himmelsleiter hinabstieg. Wie es damals üblich war, brachten die Mönche Reben mit, um Wein für ihre Messfeier erzeugen zu können. Da die Region ideale Bedingungen für die klassischen südspanischen Rebsorten wie Grenache (Garnacha) oder Carignan (auch bekannt als Mazuelo, Samsó, Cariñena) bot, wurden die Weine der Region auch über diese hinaus bekannt. Bis zum Ende des Klosters, das im 19. Jahrhundert verlassen wurde, hatte sich der Anbau der Reben auf fast 18.000 Hektar ausgeweitet und war eines der größten und bekanntesten Anbaugebiete Spaniens.
Dramatischer Verfall
innerhalb eines Jahrhunderts, eigentlich sogar innerhalb weniger Jahre änderte sich das jedoch drastisch. Kurz nachdem die Mönche gegangen waren, kam die Reblaus und vernichtete rund 95 % der Reben. Damit setzte eine Landflucht ein, die im 20. Jahrhundert weiter anhielt. Die wenigen Traubenbauern, die es noch gab, verkauften ihre Trauben zu günstigsten Preisen an eine Kooperative, die lange Zeit der einzige Erzeuger gewesen ist, den Weinbau aber immerhin bewahren konnte. Die Verarmung und Entvölkerung der Region ist die Kehrseite dessen, was ihre Besonderheit und einzigartige Schönheit ausmacht: Es ist die Abgeschiedenheit. Die Handelsstadt Reus, in der die Weine aus dem Priorat hätten vermarktet werden können, liegt zwar nur 30 km entfernt, doch war es mangels geteerter Straßen lange Zeit über sehr beschwerlich und sehr zeitaufwendig, aus den kleinen Bergdörfern dorthin zu gelangen. Zudem ist der Anbau im Priorat mit großen Mühen verbunden; denn die oft isolierten Parzellen mit den einzeln gepflanzten Buschreben und Terrassen sind selbst heute mit Jeeps oft nur schwer erreichbar.
Die Wiederentdeckung
Es brauchte also Menschen, die das Potential der Region erkannten. Das waren René Barbier und José Luis Pérez. Barbier hatte in den 1970er Jahren bei Palacios in der Rioja als Önologe gearbeitet und traf Ende der 1970er Jahre auf den Biologieprofessor José Luis Pérez. Er war derjenige, der vom Priorat als zukünftigem Top-Weinbaugebiet überzeugt war. Er überredete Barbier 1979, ein Stück Land im Priorat zu erwerben. Mit dem Jahrgang 1993 brachte er seinen ersten Wein auf den Markt. Es war L'Ermita. Mit L'Ermita hat sich die Sicht auf den spanischen Weinbau entscheidend verändert. René Barbier folgten Álvaro Palacios, Adrian Garsed, Daphne Glorian und Carles Pastrana, die ebenfalls damit begannen, heute teils legendäre Weine zu erzeugen.
Von der Avantgarde zum Hype
Aus der kleinen Gruppe der Vorreiter ist eine Bewegung geworden und aus den verbliebenen 600 Hektar Weinbergen wurden schließlich wieder ca. 1.700 Hektar. Terrassen mit Buschreben wurden rekultiviert und neue angelegt, die vor allem mit den bis heute weltweit beliebten französischen Bordeaux-Rebsorten Cabernet Sauvignon und Merlot bepflanzt wurden. Ebenso wurden damals gerne französische Barriques verwendet. Immerhin haben die Winzer von Beginn an meist auf biologische Bewirtschaftung gesetzt, geringe Erträge und wenig Eingriffe während der Weinbereitung. Im Laufe der Jahre sind jedoch viele Betriebe von den französischen Rebsorten abgekommen. Fast alle setzen heute auf die authentischen Rebsorten der Region, also vor allem Garnacha und Cariñena. Auch Extraktion und Barrique-Ausbau wurden deutlich zurückgefahren. Winzer wie Dominik Huber von Terroir al Limit verzichten heute sogar komplett auf den Einsatz von Holz.
Llicorella ist der Schlüssel
Die Weinberge liegen meist hoch und teilweise über 1.000 Meter in Steilhängen. Das Klima ist insgesamt recht mild, die Sommer nicht zu heiß und nicht zu trocken, da das Mittelmeer stetig kühle Brisen und Luftfeuchte in die Region bringt und ein entscheidender Faktor ist – auch wenn sich das mit dem Klimawandel und der deutlichen Erwärmung des Mittelmeeres noch weiter ändern wird. Der Riu de Siurana, ein Nebenfluss des Ebro, sorgt für Wasser. Was den Priorat aber unter den Weinbaugebieten so einzigartig macht, ist der Llicorella, ein schwarzer Schieferboden, der bei Wein von alten Reben für eine fantastische Spannung und Mineralik sorgt. Ein großer Teil des Weins wird aus den roten Rebsorten Garnatxa (Garnacha, Grenache Noir), Garnacha Peluda (Lledoner Pelut), Cariñena (Mazuelo, Carignan) sowie kleinen Anteilen Cabernet Sauvignon, Merlot, Pinot Noir und Syrah erzeugt. Seltener, aber ebenso exzellent sind Weißweine, vornehmlich aus Garnacha Blanca (Grenache Blanc), Macabeu (Macabeo) und Pedro Ximénez. Damals haben sie allerdings noch weitere Rebsorten wie Chenin Blanc oder Viognier gepflanzt. Längst haben die Winzer unterschiedliche Bodentypen und Mikroklimata entdeckt und schöpfen die Spezifika von Orten wie Gratallops, Falset, Poboleda, Porrera und Scala Dei, La Morena de Montsant, La Vilella, Mola Lloá und Torroja aus. Die Weine sind im Laufe der Jahre immer feiner, frischer und eleganter geworden.