Von der Calabrese zum Nero d’Avola
Die heute allgemein als Nero d’Avola bekannte Rebsorte heißt im italienischen Sortenregister immer noch offiziell so, wie man sie früher üblicherweise genannt hat: Calabrese. Dieser Name hat sich aus der ursprünglichen Nennung Calavrisi entwickelt, die in Quellen des 17. Jahrhunderts zu finden ist. Man dachte, dieser Name komme daher, dass die Sorte aus Kalabrien stamme, was von Sizilien aus nicht weit entfernt liegt. Heute aber geht man eher davon aus, dass Calavrisi aus einem lokalen südsizilianischen Dialekt stammt und Caia-Avola, nämlich Rebsorte aus Avola, bedeutet. Ob sie tatsächlich aus dem Süden Siziliens stammt, ist nicht belegbar, da die Elternrebsorten unbekannt sind. Doch es gibt rund um Noto, Avola, Syrakus und Vittoria so viele unterschiedliche alte Klone, dass man davon ausgehen kann. Sie passt jedenfalls perfekt ins Klima dieses Inselteils, und 98 % des Nero d’Avola werden auch dort angebaut.
Der Aufstieg des Nero d’Avola
Der Nero d’Avola wurde national wie international ab den 1990er Jahren bekannt. Vorher musste die Insel eine längere Leidenszeit durchlaufen. Man hatte dort voll auf den lange Zeit sehr populären Marsala gesetzt, den die Engländer seit 1773 aus dem gleichnamigen Hafen verschifften. Die Erzeugung von Marsala mündete im 20. Jahrhundert in eine Massenproduktion, der gute Ruf verfiel, und es gab nichts, was ihn hätte ersetzen können. Das größte Anbaugebiet Italiens, das mit 112.000 Hektar mehr Weinberge aufweist als ganz Deutschland, verschwand gleichsam von der Landkarte. Erst mit Vorreitern wie den Weingütern Tasca d’Almerita und Planeta änderte sich das ab den 1980ern nach und nach. Zunächst wurden französische Sorten verwendet, ab den 1990ern dann zunehmend mehr autochthone, zu denen der Nero d’Avola gehörte. Damals stellte sich heraus, dass die Sorte mit dem seidigen Tannin sehr komplex sein konnte und hervorragend reifte.
Ein sizilianischer Charmeur
Der Nero d’Avola ist – man kann das ohne Umschweife so sagen – der Charmeur unter Italiens roten Rebsorten. Die Sorte braucht viel Wärme, weshalb man sie auch im Wesentlichen im Süden Siziliens findet. Zudem wird sie sehr niedrig als Busch erzogen, sodass sie auch nachts noch von der gespeicherten Wärme des Bodens profitiert. In der Farbe changiert der Wein zwischen Purpur und Violett. Er duftet meist intensiv nach Pflaumen, reifen Süßkirschen und Cranberrys, Brombeeren und Maulbeeren. Dazu kommen oft Noten von Minze und Schokolade, Tabak und Waldboden. Vor allem wenn der Nero d’Avola im Holz ausgebaut wird, kann er hervorragend reifen. Oft wird die Sorte reinsortig ausgebaut. Rund um Vittoria aber gibt es die Tradition, den Nero d’Avola zusammen mit Frappato auszubauen, einer weiteren sizilianischen Rebsorte. Der daraus entstehende Wein heißt Cerasuolo di Vittoria und ist der einzige Wein der Insel, der in die Kategorie DOCG (Denominazione di Origine Controllata e Garantita) fällt. Im Norden Siziliens wird der Nero d’Avola auch mit der Ätna-Rebsorte Nerello Mascalese sowie mit Perricone verschnitten. Es gibt nur zwei weitere Länder, in denen es nennenswerte Bestände an Nero d’Avola gibt, nämlich Ungarn und Australien, wo der Anbau aber unter 100 Hektar liegt.