Es gab einmal eine Zeit, da war die europäische Weinwelt einfach in Ordnung, das war so bis Ende der 80er Jahre. Für die Winzer der alten Welt galt ein schlichtes Prinzip, guter Wein entsteht im Weinberg und verweist geschmacklich auf das Terroir, auf dem er gewachsen ist. Ganz einfach. Und auf dieses Terroir wurde stets verwiesen, auch wenn kaum jemand zu erklären verstand, in welcher aromatischen Textur sich nun welches Terroir wiederfand. Was kommt vom Boden, was von der Rebsorte? Und so wurde der Begriff »Terroir« auch gerne strapaziert um beispielsweise Weinfehler schmackhaft zu machen. Ich selbst habe seinerzeit Winzer wie Sommeliers dabei erlebt, wie etwa Korkfehler als typischen Ausdruck des Terroirs umgedeutet haben. Wein hatte Terroir – basta!
Doch dann kamen mit den auslaufenden 80er Jahren die ersten Weine aus der Neuen Welt in Europa an, aus Kalifornien, aus Australien und Neuseeland, später Chile und Argentinien. Südafrika war zwar im Prinzip bereits vertreten, aber eben nur »im Prinzip«, denn sie wurden wegen der menschenunwürdigen Apartheitspolitik von vielen Weinfreunden links liegengelassen.
Alte Welt vs. Neue Welt?
Aber mit dem Aufkommen der Neuen Welt kamen nicht nur neue Weinstile auf den Markt, vielmehr trafen jetzt zwei unterschiedliche Philosophien des Weinmachens beinahe unversöhnlich aufeinander. Auf der einen Seite die Alte Welt, die behauptete, dass die Qualität im Weinberg auf einem entsprechenden Terroir entsteht, auf der anderen Seite die Neue Welt, die natürlich auch nur geeignete Weinberge auswählte, aber den Winemaker und Önologen als den Vater höchster Qualität in den Fokus stellte. Da die vollmundigen, körperreichen aber zugleich geschmeidigen Weine sehr gut ankamen, auch weil sie dem komplexen europäischen Bezeichnungsrecht einfache und klar verständliche Labels gegenüberstellten, entspann sich schnell ein Streit um Herkunft, Originalität und Authentizität der Weine. Schnell machte der Vorwurf die Runde, die Weine der neuen Welt hätten kein Potential, erinnerten mitunter an Konfitüre und überhaupt handle es sich hier in erster Linie um technische Weine. Es befeuerte aber eben auch die Diskussion, welchen Einfluss das Terroir auf das Geschmacksprofil eines Weines nun tatsächlich hat, und welchen der Winemaker?
Viel Zeit ist seitdem in das Land gegangen, und der Wind hat sich doch gedreht. Bis heute wird nach wie vor diskutiert, wie nun der Boden, also das Terroir, tatsächlich den Geschmack des Weines beeinflusst. Hinzugekommen ist ein weiterer Faktor, der damals weder intensiv untersucht noch diskutiert wurde wie heute – der Klimawandel! Im Gegensatz zu manch einem, der diesen nach wie vor leugnet, wissen Winzer und Weinproduzenten sehr wohl, dass er stattfindet. Ein Beispiel: waren bis zu Beginn der 2000er die Jahrgangsqualitäten in Bordeaux stets so beschaffen, dass sie kaum mehr als 12,5 bis 13 % Alkohol zuließen, was den eleganten und filigranen Bordeaux-Stil definierte, so sind heute in Bordeaux Alkoholgradationen von 14,5% durchaus an der Tagesordnung. Dieses mehr an Reife und den damit einhergehenden körperreicheren Charakter der Weine wird in manchen Regionen durchaus gerne gesehen, sind es doch genau jene Komponenten in Weinen der Neuen Welt, die diese so attraktiv machten. Jetzt kann man mit stoffigen, durch den hohen Alkohol süßlichen und durch die sehr reifen Tannine beinahe schokoladig anmutenden Weinen endlich Australien & Co. Paroli bieten. So wurden Kritiker wie Robert Parker oder renommierte Fachzeitschriften wie der Winespectator oder auch der Decanter höchst aufmerksam.
Die neue Welt hatte jedoch bei aller Qualität der Weine einen Aspekt unterschätzt: in der alten Welt werden technisch versiert erzeugte Weine weniger geschätzt als jene, die – ob nun in real oder nur scheinbar – dass Terroir ihrer Herkunft preisgeben. Seit gut 20 Jahren bemühen sich nun Länder der Neuen Welt, Herkünfte und Terroirs in ihren Regionen zu definieren, ob Australien, Chile, Kalifornien oder Neuseeland. Diese sind auch durchaus zu finden, wie etwa Coonawarra in Australien, Central Otago in Neuseeland oder Casablanca Valley in Chile, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Alte Welt vs. Neue Welt bekommt mit dieser Entwicklung eine sehr andere Bedeutung!
Winemaking oder Terroir?
Gleichzeitig gilt jetzt die alte Welt, also die Weinbauregionen Europas, mit ihren eher leichteren Weinstilen als die Vorbilder der Neuen Welt. Chablis etwa für Chardonnay, Pouilly Fumé für Sauvignon Blanc, Bordeaux für Bordeaux-Cuvées, die nördliche Rhone für Syrah, auch diese stellen nur einige Beispiele da. Wie aber soll man das hinbekommen, wo doch die meisten Weinberge in Australien oder Chile gerade in warmen Teilen des Landes angelegt worden sind, weil man früher glaubte, ein warmes Klima und viel Sonne bringe auch den besseren Wein?
„Cool Climate“ heißt das Zauberwort! Man sucht im Land nach geeigneten Weinbergen in kühlen Ecken oder man klettert die Berge hinauf. Argentinien etwa verfügt mittlerweile über Weinberge auf 2.400 Höhenmetern, nachdem zuvor bereits Nicolas Catena als Pionier auf diesem Gebiet Weinberge in 1.500 Meter Höhe angelegt hatte. Chile, auf der anderen Seite der Anden, bewegt sich ebenfalls bergaufwärts oder zieht immer weiter in den kühleren Süden hinunter. Die Küstenkordilleren, wo sich der kalte Einfluss des pazifischen Ozeans nachhaltig bemerkbar macht, bieten hier ebenfalls die geeigneten Bedingungen. Auch Australien verstärkt den Weinbau an den Küsten, etwa in Geelong oder Mornington Peninsula im Süden von Melbourne oder in Western Australia. Außerdem haben viele Regionen der Neuen Welt den Einsatz von neuem Holz spürbar zurückgefahren und arbeiten zunehmend mit Naturhefen, was den Weinen mehr Frische und auch Authentizität verleiht, mehr Profil, und ja, vielleicht auch Terroir…
Ist die alte Welt die Neue und die Neue die Alte?
Deshalb erleben wir in gewisser Weise gerade eine etwas verkehrte Welt, ein Paradox: während die Weinstile der Alten Welt zunehmend in Richtung der Neuen driften, kommen immer mehr Weine aus der Neuen Welt in einer kühlen, europäischen Stilistik. Die Weinwelt ist in Bewegung, aber Stilvielfalt hat den Weinfreunden ja eigentlich nie geschadet, im Gegenteil! Festgefahrene Gleise zu verlassen ist ja gerade das Aufregende in der Weinwelt und sorgt immer wieder für Diskussionen. Und das ist gut so!