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Der Wein aus »diesem« Jahr - 2010

Wenn die Traube zum Kalender wird und Erinnerungen weckt.

Veröffentlicht am 20. Dezember 2017

Es liegt ein bisschen an Ihnen selbst, ob die kommenden Gedanken einen sentimentalen oder einen fröhlichen Ausklang haben werden. Haben Sie sich beim Betrachten einer Weinflasche schon einmal an die Ereignisse des Jahres erinnert, in dem die Trauben geerntet wurden? Sicherlich.

Ich kenne viele Weingenießer, die genau deshalb ein paar gut lagerfähige Flaschen im Keller hegen und pflegen. Zur Geburt des ersten Kindes. Nach dem Erwerb des ersten eigenen Hauses. Einen Wein aus dem Jahr, in dem man heiratete oder als der neue, sehr gute Job angeboten wurde. Gründe gibt es unzählig viele, und ab und an ist es schön, sich zu erinnern. Den Wein liebevoll zu entkorken, ihn zu riechen, zu probieren und dann zu wissen: Ja, als dieser Wein in die Flasche gefüllt wurde, da war… Ja, was? Wir öffnen heute einen Rioja aus dem Jahrhundertjahrgang 2010! Was war da? Denken Sie mal nach. Machen Sie mit.

 

Weltgeschichtlich und sportlich ist in diesem Jahr viel passiert. Die deutsche Nationalmannschaft belegte bei der Fußballweltmeisterschaft den dritten Platz, Spanien gewann am Ende in Südafrika das Turnier. Das passt ja wunderbar zum geöffneten »Baron de Ley«, Prost Spanien. Sebastian Vettel wurde mit 23 Jahren der jüngste Formel-1 Weltmeister aller Zeiten. Lena Meyer-Landrut gewann mit »Satellite« den 55. Eurovision Song Contest (ist das schon wieder acht Jahre her?) und der Weinhandel Carl Tesdorpf feierte sein 333-jähriges Bestehen. Mehr so eine Schnapszahl. In diesem Jahr werden wir 340 Jahre alt, aber das ist eine andere Geschichte, das feiern wir dann noch gebührend. Wo waren Sie im Jahr 2010? Was haben Sie erlebt, gestartet oder beendet?

 

Ich war im Kino und habe den siebten Harry Potter Film mit meinen Töchtern gesehen. Im Autoradio lief »Over the Rainbow« in der Version von Israel Kamakawiwo’ole rauf und runter. Ich lasse den Rioja auf meiner Zunge spielen. Er wird als »spannungsgeladen“ beschrieben, das kann ich bestätigen. Mit den sieben Rebsorten, die ihm innewohnen, ist er so vielfältig komponiert wie das Jahr 2010. Bei Gesprächen ist mir aufgefallen, dass viele meiner Freunde und Bekannten dieses Jahr als ein schweres Jahr in Erinnerung behalten haben. Ein Jahr voller Schicksalsschläge und Höhenflüge. Ein Auf und Ab der Gefühle und Emotionen. Geht Ihnen das auch so?

 

In Gedanken versunken sitze ich vor einem Taschenkalender und einem weit zurück gespulten Outlook Terminplan. Fragmente eines Lebens, acht Jahre alte Termine aus einer ganz anderen Zeit. Damals banale Ereignisse, sind jetzt Spuren der eigenen Vergänglichkeit. Ich finde im Jahr 2010 ein altes Bild von meiner zwei Jahre alten Tochter, auf dem sie im Fahrersitz meines alten Audis lachend in die Kamera guckt. Das Bild habe ich immer noch. Die Dame ist inzwischen 17 Jahre alt und macht Abitur. Die Zeit vergeht zu schnell.

 

Ich trinke noch einen großen Schluck dieses wirklich grandiosen Spaniers und lasse die Bilder an meinem geistigen Auge vorbeiziehen, während im Hintergrund schon fast kitschig untermalend ein Klavier klimpert. Es sind schöne Erinnerungen. Sie zu bewahren heißt, weiter mutig nach vorn zu schauen. Deshalb kann die leere, im Wind quietschende Schaukel im Garten auch zwei völlig verschiedene Bedeutungen haben: Sie kann ein pathetisches Symbol sein für die Kinder, die ihr entwachsen sind und nun ihre eigenen Wege gehen. Oder sie wartet neugierig auf die Kinder, die auch morgen und übermorgen noch auf ihr schaukeln werden. Den Blickwinkel bestimmen Sie selbst. Und noch etwas – schaukeln Sie mal wieder. Das ist wundervoll.