Das Wohl und Wehe eines Jahrgangs hängt bei einem Naturprodukt, wie es der Wein nun einmal ist, vom Wetter ab. Das ist auch gut so; denn wenn dem nicht so wäre, würden alle Weine irgendwann mehr oder weniger ähnlich schmecken.
IM ZEICHEN DES FROSTES
Doch manchmal kann man als Winzer auch am Wetter verzweifeln. Am 20. April und an den nachfolgenden Tagen gab es viele Winzer in Frankreich, die verzweifelt waren. Der 20. April stand für Frost in den Weinbergen, und zwar überall im Land. Der Frost kann einer Rebe im Winter nichts antun. Doch diesmal war es ein Spätfrost, kurz nach dem Austrieb der Blüte – und das kann verheerend sein. In der Champagne, im Chablis und auch im restlichen Burgund hat der Frost große Schäden hinterlassen. Manch ein Winzer im Chablis hatte in 2017 einen totalen Ernteausfall. Im Süden und Südwesten – und dazu zählt das Bordelais – hat es ebenfalls viele Winzer getroffen, aber die Auswirkungen waren deutlich unterschiedlich. Bei den Grand-Cru-Classé-Weingütern war Saint-Émilion am stärksten betroffen, dort hat es rund 10 % der Weinberge erwischt. Der Frost hatte also durchaus Einfluss, doch deutlich weniger als in anderen Regionen. Dass der Frost den Weinbergen im Bordelais am 20. April weniger angetan hat, liegt vor allem daran, dass es dort vorher ungewöhnlich trocken war und es kaum Wasser gab, das in den Weinbergen hätte gefrieren können. Das änderte sich dann am 24. bis 26. April, als zuerst der Regen kam und danach der Nachtfrost. Die Weinberge im Médoc, die unweit der Gironde liegen, wurden dank des milderen Klimas kaum getroffen. Je weiter es aber ins Inland ging, desto größer wurden die Schäden, und das vor allem in den tiefen Lagen. Der Weinhändler Will Hargrove prägte den Satz: »Was Bordeaux betrifft, so war der Frost ein wahrer Snob.« Denn so sehr er die Weinberge der Grand-Cru-Classé-Weingüter verschont hat, so sehr hat er von Blaye bis ins Barsac, im Entre-deux-Mers und in den tiefer gelegenen Weingärten von Graves und Saint-Émilion zugeschlagen. Dort gab es Schäden von 50 bis 100 %.
2017 IST ABER MEHR ALS EINIGE FROSTIGE NÄCHTE
Im Mai wurde es dann warm mit Spitzen von über 30 °C. Die Blüte begann daher auch rund zwei Wochen früher als üblich hielt und über zehn Tage hinweg an. Für Eric Kohler, der die Weine von Lafite-Rothschild verantwortet, war es die schönste Blüte, die er je gesehen hatte. Der Juni war fast so heiß wie 2003. Diese Wärme war aus einem bestimmten Grund besonders wichtig. Viele der vom Frost beschädigten Reben konnten nach der Beschädigung im April eine zweite Blüte austreiben. Diese sogenannte zweite Generation braucht aber sehr stabiles und warmes Wetter, da sie deutlich empfindlicher ist als die erste Generation des Austriebs. Was die Reben jedoch zwar langsam, aber sicher dringend benötigten, war Wasser. Und tatsächlich fiel Ende Juni Regen, brachte neue Energie in die Stämme und verhinderte so allzu großen Trockenstress. Nach dem heißen Juni lagen die 189 Sonnenstunden im Juli unter dem Mittelwert von 241 Stunden. Während der Véraison ab dem 20. Juli, wenn die roten Sorten ihre Farbe von Grün zu Rottönen verändern, schauten die Winzer also einer frühen Lese entgegen.
DER MONAT AUGUST SORGT FÜR EINEN BESONDEREN CHARAKTER
Nicht der Frost, sondern der ungewöhnliche August hat letztlich den Charakter des Jahrgangs 2017 bestimmt; denn der August war ungewöhnlich kühl und verhinderte, dass die Trauben hohe Zuckerwerte erreichten. Ganz im Gegensatz zu den bildschönen Jahrgängen 2015 und 2016, wo der Zucker und damit später auch der Alkohol in den Weinen in die Höhe schoss, sorgte der August 2017 für Alkoholwerte, die man nur noch in klassischen Bordeaux der 1980er- und vielleicht noch 1990er-Jahre findet. Werte um 13 % waren damals keine Seltenheit. Während die Farbstoffe sich in den Trauben ähnlich entwickelten wie 2016, waren die Polyphenole, also die Aromastoffe, die den Wein prägen, deutlich zurückhaltender. Auch das führte dazu, dass gerade die vom Cabernet geprägten Weine aus Graves und Médoc sich viel klassischer entwickelten als etwa die fruchtbetonten Jahrgänge 2015, 2016 oder auch 2009 und 2010. Zudem führte der kühle August zu einem niedrigen pH-Wert und zu frischer Säure in den Weinen – und auch das ergab die geradezu klassische Prägung der Weine, die Liebhaber von Jahrgängen wie 1986 oder 1982 begeistern dürfte.
LANGE ERNTE UND EIN SORGSAMER UMGANG IM KELLER
Bei vielen Weingütern sorgte zusätzlich zum ungewöhnlichen Jahresverlauf auch der Regen Ende September für einen hohen Aufwand bei der Lese. Viele Teams mussten ein halbes Dutzend Mal in die Weinberge gehen, um die Trauben einzubringen, und zwar vor allem jene Teams, die Trauben aus der ersten und der zweiten Blüte ernten mussten, die zeitversetzt reif wurden. Im Keller haben dann nahezu alle Verantwortlichen auf eine sehr zurückhaltende Extraktion gesetzt und »die Maische ziehen lassen, wie man Darjeeling ziehen lässt.«
2017 – KLASSISCHES BORDEAUX
So ist 2017 ein völlig anderer Jahrgang entstanden als in den Jahren zuvor. Er ist bei weitem nicht so konsistent, und entsprechend waren wir als Weinhändler mit teils jahrzehntelanger Erfahrung gefragt, die Weine im April in Ruhe zu probieren und auszuwählen. Dabei gab es in der Spitze und auch im Mittelfeld ganz hervorragende Weine, die uns schon bei der Fassprobe irrsinnig viel Freude gemacht haben. Das gilt sowohl für Weine von der linken wie auch für solche von der rechten Seite der Gironde. Es sind nicht selten Weine mit einem geradezu betörenden Parfum an floralen Düften von Veilchen und Iris, saftiger, frischer und oft dunkler Frucht. Das Tannin der Weine ist präsent, aber nicht streng. Die Weine sind mittelgewichtig und klar, oft sehr präzise und fokussiert mit hohem Trinkfluss. Und genau das macht sie sehr attraktiv. Sie werden schon dann großen Spaß machen, wenn man noch auf die viel dichteren und auch voluminöseren 2015er und 2016er wartet. Wie sagte es Bordeaux-Koryphäe Neal Martin?: »Kurz gesagt, ich mag diesen Jahrgang. Ich sage nicht, dass er der größte ist, aber diese Weine zu trinken hat großen Spaß gemacht, und ich habe wieder sehr viel dabei gelernt.« Der 2017er erinnert an Old-school-Bordeaux, das werden viele, viele Bordeaux-Fans sehr schätzen.